Der Marsch fürs Leben Mitte April am Münchner Königsplatz.
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Der Marsch fürs Leben Mitte April am Münchner Königsplatz.

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Gegen Abtreibung: AfD demonstriert mit strenggläubigen Christen

Abtreibungen liberalisieren? Nein, sagen viele gläubige Christen und protestieren gegen Schwangerschaftsabbrüche. Bei den Demos aber laufen auch Rechtspopulisten und AfD-Politiker mit. Eine Zerreißprobe für die Gläubigen.

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Soll das Abtreibungsrecht liberalisiert werden? Der Streit um die Liberalisierung der Abtreibung sorgt für eine Kontroverse. Denn die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission empfiehlt die Legalisierung von Abtreibungen vor der zwölften Schwangerschaftswoche. Die Union, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die Deutsche Bischofskonferenz sprechen sich dagegen aus.

Viele gläubige Christen engagieren sich gegen Abtreibungen

Viele gläubige Christen lehnen Abtreibungen ab. Auch die mögliche Liberalisierung des Abtreibungsrechts können sie nicht akzeptieren. Denn aus ihrem Glauben leiten sie den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens ab.

"Es ist das Wissen um einen liebenden Schöpfergott, der jeden Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Aber auch, der jeden Menschen gewollt hat", sagt die Initiatorin des "Marsches fürs Leben" in München, Silja Fichtner, vom Verein "Stimme der Stillen".

Bei der Veranstaltung geht es aber manchen auch um das Familienbild an sich: "Die Frauen, die wollen nicht alle selbstbestimmt sein. Viele hätten gerne Familie." Sie favorisierten das traditionelle Familienbild: Dass "der Mann heimkommt, arbeitet, das Geld heimbringt für die ganze Familie", sagt eine Lebensschützerin dem BR beim "Marsch fürs Leben" in München.

Bischöfe nehmen an Märschen teil und schreiben Grußworte

Auch Bischöfe, Ordensleute und Priester nehmen regelmäßig an den "Märschen fürs Leben" teil. Mitte April in München waren unter anderem der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, Weihbischof Thomas Maria Renz aus Rottenburg-Stuttgart und der Augsburger Weihbischof Florian Wörner dabei. "Ich bin nicht zum ersten Mal hier, ich bin immer mit dabei bei diesen 'Märschen für das Leben', weil mir der Lebensschutz ein sehr wichtiges Anliegen ist", sagte Weihbischof Florian Wörner im Gespräch mit dem BR.

Die beiden Bischöfe aus Eichstätt und Passau, Gregor Maria Hanke und Stefan Oster, waren zwar nicht anwesend, hatten aber vorab Grußworte geschickt. Der Passauer Bischof Oster war in der Vergangenheit zwar häufiger bei den Märschen dabei, distanzierte sich aber jüngst, da dort verstärkt Personen aus dem rechten Spektrum aufgefallen waren. Oster sagte, er sei unschlüssig, ob er nochmal daran teilnehme.

AfD-Politiker demonstrieren zusammen mit Gläubigen

Genau das ist der Knackpunkt: Denn unter den Demonstranten sind etwa auch Mitglieder der Jugendorganisation der ultrakonservativen Piusbruderschaft. Die "Christen in der AfD" warben im Vorfeld für die Teilnahme. Mit dabei waren auch der AfD-Landtagsabgeordnete Franz Schmid und der Bamberger AfD-Mann Jan Schiffers.

Neben Daniel Halemba ist Franz Schmid der zweite Landtagsabgeordnete der AfD. Der Bayerische Verfassungsschutzes prüft laut Süddeutscher Zeitung eine Beobachtung, weil er bei einem Treffen zur "Remigration" im schwäbischen Dasing dabei war – wie auch der Österreicher Martin Sellner, bekanntester Kopf der "Identitären Bewegung". 2022 setzte sich Schmid für die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" in Ulm ein, als sie von einem Hauseigentümer vor die Tür gesetzt wurde. Der Bamberger Jan Schiffers saß bis 2023 für die AfD im Landtag und wird dem Lager um Björn Höcke zugerechnet.

Kritik an fehlender Distanzierung von Rechtsextremen

Die Ablehnung von Abtreibung ist nicht ungewöhnlich für Christen. So positioniert sich die katholische Kirche traditionell gegen Schwangerschaftsabbrüche, weil man der Ansicht ist, der Mensch sei nach Gottes Ebenbild geschaffen und deswegen sei jedes menschliche Leben ab der Zeugung schützenswert.

Gegen die Liberalisierung von Abtreibungen zu sein, sei ein legitimes Anliegen, sagt auch die christlich-religiöse Publizistin Liane Bednarz. Das Problem sei ihrer Ansicht nach die fehlende Distanzierung von Rechtspopulisten und Rechtsextremen: "Ich finde es mehr als erstaunlich, dass Gruppierungen, die sich für den Lebensschutz einsetzen, offensichtlich kein größeres Problem damit haben, dass da AfD-Vertreter mitlaufen und dafür werben."

Bednarz nennt als Beispiel, dass die AfD vor allem gegen bestimmte Gruppen – insbesondere gegen muslimische Flüchtlinge – Stimmung mache. "Wie das zu einem Anliegen eines allumfassenden christlich geprägten Lebensschutzes passt, der ja auch die Würde aller Menschen achtet, ist mir schleierhaft", sagte Bednarz.

Initiatoren wollen niemanden ausschließen

Doch distanzieren will sich die Initiatorin des Marsches in München, Silja Fichtner, nicht. "Ich kann als Veranstalter einer öffentlichen Versammlung nicht einfach Menschen von dieser Versammlung ausschließen. Das Versammlungsrecht ist ein sehr, sehr hohes Gut, und das kommt eben einfach jedem zu und nicht erst nach einer Gesinnungsprüfung." Selbst eine verbale Distanzierung nimmt Fichtner nicht vor und sagt: "Ich kann niemanden davon abhalten, Werbung zu machen." Diese Sichtweise teilen auch viele Teilnehmer beim "Marsch fürs Leben" im Gespräch mit dem BR.

Kirche im Dilemma: Nicht rechts, aber gemeinsame Teilnahme

Doch wie geht es zusammen, dass sich zwar die Deutsche Bischofskonferenz einstimmig von Rechtsextremisten und deren Positionen abgegrenzt und beschlossen hat, dass AfD-Amt und Kirchenamt unvereinbar seien, gleichzeitig aber Bischöfe beim "Marsch fürs Leben" dabei sind? Der Augsburger Weihbischof Wörner meint, ihm persönlich seien noch keine AfD-Leute aufgefallen. "Wenn ich zum Konzert gehe, dann sag ich meinen Besuch auch nicht ab, wenn ich im Vorfeld erfahre, dass da zwei, drei von dieser Partei mit dabei sind."

Regensburger Bischof Voderholzer segnet "solche Leute"

Wie schnell man ungewollt in schwierige Situationen gerät, musste der Regensburger Bischof Voderholzer beim Marsch in Berlin im Herbst 2023 erleben. Voderholzer lief neben einem Demonstranten, der das sogenannte White-Power-Symbol zeigte, ein Symbol der extremen Rechten. Das Bistum Regensburg distanzierte sich davon.

Diese Erfahrung scheint den Regensburger Bischof wohl aber nicht davon abzuhalten, weiterhin an den Märschen teilzunehmen. Voderholzer sprach beim "Marsch fürs Leben" in München sogar das Schlusswort und segnete die Teilnehmer.

Für Bednarz steht das Foto symbolisch für das Dilemma, in dem die Kirche steckt: "Nämlich dass dort eigentlich fromme Christen, die nicht rechts sind, und Herr Voderholzer ist sicher nicht rechts, sagt er ja auch selber. Aber letztlich zwar nicht aktiv, aber de facto auf derselben Veranstaltung sind wie eben solche Leute."

Gegendemonstranten sprechen von "Religionsdiktatur"

Eine rechte Unterwanderung der Märsche sehen auch die Gegendemonstranten in München, wie Rosa Kraft vom Bündnis "Pro-Choice" dem BR sagte. "Die Werte der AfD und der Kirche sind ganz klar antifeministisch und antidemokratisch." Ein Arzt trägt ein Schild, auf dem "Religionsdiktatur" steht: "Was uns hauptsächlich stört, ist der Versuch, diese ethisch-moralische Sichtweise der ganzen Gesellschaft überzustülpen." Eine Teilnehmerin fordert: "Warum sollten Menschen ihre Religion anderen aufzwingen? Das wollen sie auch nicht von anderen Religionen."

Silja Fichtner dagegen wirft den Gegendemonstranten eine Sabotageaktion und mehrere tätliche Angriffe vor. Die bereitgestellte Stromversorgung sei durch das Einspritzen von Bauschaum beeinträchtigt worden, heißt es. Nur durch den schnellen Einsatz der Stadtwerke München habe der Marsch wie geplant stattfinden können, teilte der Verein "Stimme der Stillen" mit.

Bischöfe betonen Bedeutung einer klaren Abgrenzung

Welche Verantwortung gerade Kirchenvertreter bei der Abgrenzung zu rechten Inhalten haben, ist zumindest dem Würzburger Bischof Franz Jung bewusst. In einem Interview mit der "Mainpost" sagte Jung: "Die Frage ist: Wie kann man konservative Werte vertreten, ohne sofort einem rechtsextremen Lager zugeordnet zu werden? Das ist eine große gesellschaftliche Herausforderung."

Auch der Augsburger Bischof Bertram Meier schreibt dem BR, die katholische Kirche habe "stets dafür Sorge zu tragen, dass menschenverachtende oder demokratiefeindliche Gruppierungen und Einzelpersonen benannt und zur Rechenschaft gezogen werden."

"Die AfD mixt das Abtreibungsthema mit völkischen Erwägungen"

Für Liane Bednarz besteht der große Fehler darin, dass viele Teilnehmer außer Acht lassen würden, warum gerade der AfD das Thema Abtreibung so wichtig ist. In ihrem Grundsatzprogramm wirbt die AfD unter der Überschrift "Mehr Kinder statt Masseneinwanderung" für weniger Einwanderung und beklagt gleichzeitig die hohe Zahl der Abtreibungen in Deutschland.

Um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken, lehnt die AfD Einwanderung ab und will stattdessen erreichen, dass die Geburtenrate in Deutschland steigt. "Sie sehen nicht, dass die AfD das Abtreibungsthema mit völkischen Erwägungen mixt und das ist natürlich für einen Christen absolut inakzeptabel, dass man Kinder, werdende Kinder gegen Migranten ausspielt", kritisiert Bednarz.

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